Tabletten-Schwindel schwer gemacht

Seit zwei Jahren greift ein EU-weites Sicherheitssystem mit dem verschreibungspflichtige Medikamente kontrolliert und ihre Echtheit verifiziert werden soll. Es heißt securPharm und setzt an der gesamten pharmazeutischen Lieferkette an. Hält es, was es versprochen hat? Ein Gespräch mit Chantal Mause, Rahel Kröhnert und Dieter Uckelmann von der Hochschule für Technik in Stuttgart.

Wie groß ist die Gefahr, dass Medikamente, die in der Apotheke um die Ecke verkauft werden, gefälscht sind? 
Kröhnert: Sehr gering. In Deutschland sind Medikamente sehr gut abgesichert. Wenn sie in der Apotheke ankommen, werden sie auf Fälschungen überprüft und erst dann ins Regal sortiert. 

Wo werden die Medikamente produziert? 
Uckelmann: Sie werden weltweit produziert, aber viele auch in Deutschland. Es gibt ent-sprechende Unternehmen, die für die Markenhersteller das Abfüllen in Deutschland über-nehmen.

Je näher also der Produktionsstandort, desto geringer die Gefahr von Fälschungen? 
Uckelmann: Ich würde sagen: Je mehr Hände die Medikamente durchlaufen, umso größer die Gefahr dabei.

Wie kommt ein falsches Medikament in den Kreislauf? 
Uckelmann: Der einfachste Ansatz ist, die Identifikationsnummer eines Medikaments zu fälschen. Das soll das securPharm-System verhindern. Es darf keine Medikamente mit der gleichen Seriennummer geben. Das macht Fälschungen deutlich schwieriger. Fälscher können sich so eine Nummer nicht aus den Fingern saugen, da würde das SecurPharm System gleich anspringen und einen Fehler mitteilen. 

Wie funktioniert securPharm? 
Mause: Beim Hersteller wird auf verschreibungspflichtige Medikamente ein Identifikations-Code gedruckt. Dieser Code wird bei jeder Übergabe gescannt und über ein nationales Verifikationssystem geprüft, ob eine Fälschung vorliegt. Außerdem gibt es einen Erstöffnungsschutz, um zu gewährleisten, dass das Produkt noch nicht geöffnet wurde.

Ist Deutschland ein attraktiver Markt für Medikamentenfälschungen?
Uckelmann: Auf jeden Fall. Das Geld für Medikamente ist da und sobald Geld im Spiel ist, gibt es einen Anreiz für Kriminelle, sich einen Teil vom Kuchen abzuschneiden. 

Greift securPharm auch bei Bestellungen in Online-Apotheken? 
Mause: Das System greift auch beim Online-Handel. Es gibt ein Sicherheitslogo, anhanddessen der Käufer selbst überprüfen kann, ob es sich um eine verifizierte Apotheke handelt. Allerdings fehlt teilweise noch die Awareness dafür. 

Kröhnert: Ein verschreibungspflichtiges Medikament ist online sehr umständlich zu bestellen. Man muss das Rezept einschicken, so wird überprüft, ob es ein echtes Rezept ist. Erst dann wird das Medikament losgeschickt. Hingegen ist der Online-Handel bei nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten vor allem für jüngere Leute interessant, denn diese vergleichen online die Preise. Damit ist es finanziell attraktiv, online zu bestellen. Auf der anderen Seite haben wir aber auch ein großes Sicherheitsbedürfnis und das kann dann nur die Apotheke mit einer persönlichen Beratung absichern. 

Wie hat sich securPharm im Alltag der Apotheken bewährt, die seit zwei Jahren damit arbeiten?
Mause: Das System ist gut angenommen worden. Es hat den Prozess in Apotheken aber auch verlangsamt, da jedes Medikament beim Eintreffen und Verkauf gescannt werden muss, um die Echtheit zu überprüfen. Das ist der größte Kritikpunkt der Apotheken. Außerdem wurde vorgeschlagen, das System auszuweiten, damit es weltweit greift. Die Medikamente kommen schließlich auch aus unterschiedlichen Ländern weltweit. 

Den Beitrag securPharm – die Absicherung der pharmazeutischen Lieferkette lesen Sie in der aktuellen Ausgabe von Industrie 4.0 Management 2/2021 Maschinelles Lernen.