Die neuen Gefahren

Covid-19 zeigt, wie verwundbar die Wirtschaft ist, alte Gewissheiten gelten nicht mehr. Was heißt das für unser Risikomanagement? Olaf Eisele arbeitet am Institut für angewandte Arbeitswissenschaft – ein Gespräch über neue Risiken, warum Versicherungen das letzte Mittel zur Absicherung sein sollten und wir uns öfter fragen sollten: Was wäre wenn…

Waren die Unternehmen auf die Pandemie vorbereitet? 

Anfang 2020 veröffentlichte die Allianz eine Umfrage, in der Unternehmen weltweit dazu befragt wurden, wie sie bestimmte Risiken einschätzen. Da landeten bezeichnenderweise pandemiebedingte Gesundheitsereignisse auf dem 17. Rang. Nur drei Prozent der befragten Unternehmen sahen darin damals eine besondere Gefahr. Vorne lagen Cyberangriffe, rechtliche Veränderungen oder auch Marktentwicklungen. Pandemien hatten die meisten Unternehmen nicht auf dem Schirm und waren daher darauf auch nicht vorbereitet. 

Konnte man diese Pandemie überhaupt kommen sehen? 

Das ist abhängig von der Methodik des Risikomanagements. Die Höhe des Risikos bewertet sich nach Eintrittswahrscheinlichkeit mal Ausmaß des Schadens. Der Schaden, den die Pandemie verursacht, ist immens hoch. Aber die Eintrittswahrscheinlichkeit war statistisch betrachtet sehr gering. Sie wurde daran gemessen, in welchen Zeitabständen so eine Pandemie bisher eintrat – und die Spanische Grippe liegt 100 Jahre zurück. In Unternehmen ist man auch mehr mit aktuellen und tatsächlichen Problemen beschäftigt und nicht mit dem, was theoretisch einmal passieren könnte. 

Es scheint nun, als wäre alles möglich. 

Das ist auch der Ansatz unseres Modells, des Business Continuity Managements. Unternehmen  sollten sich systematisch einen Gesamtüberblick über alle für sie relevanten Risiken verschaffen. Durch Globalisierung und Vernetzung gibt es ganz neue Risiken. Die Rahmenbedingungen haben sich geändert, es kommen neue Risiken hinzu und Wahrscheinlichkeiten verschieben sich. Wir haben in einer Risikokarte wesentliche Risikoarten aufgelistet, Unternehmen sollten sich damit beschäftigten und sich fragen: Was wäre wenn…

Das klingt aufwendig. Haben Unternehmen denn die Ressourcen dafür?

Die großen Unternehmen sind da schon gut aufgestellt. Das liegt auch daran, dass sie zum Teil gesetzlich dazu verpflichtet sind. Aktiengesellschaften beispielsweise müssen ein Risikomanagement betreiben. Da gibt es eigene Abteilungen, die nichts anderes machen. Bei Mittelständlern ist das schon ein Problem, da sie oft nicht über die Ressourcen und Spezialisten verfügen. Dort ist es wichtig, dass sie eine einfache Methode an der Hand haben, einen einfachen Zugang ohne viel Statistik, um das Thema pragmatisch anzugehen. Es hilft schon eine Vorlage, welche Gefahren es überhaupt gibt. Und dann schauen: Was davon betrifft mich, wo gibt es ein geringes und wo ein hohes Risiko. Dann kann man grob überlegen, wie man Risiken eventuell reduzieren kann oder wie man sich verhält, wenn der Fall eintritt und welche Maßnahmen helfen würden.

Haben Sie ein Beispiel aus der Praxis?

Brandschäden zählen immer noch zu den größten Risiken für Unternehmen, auch von der Wahrscheinlichkeit her. Es gibt Studien, die besagen, dass Unternehmen etwa alle 20 Jahre von einem Brandschaden betroffen sind und mehr als die Hälfte der Betriebe nach einem Großbrand nicht überleben. Um das zu verhindern, kann man als ersten Schritt einfache Maßnahmen ergreifen, beispielsweise eine Sprinkleranlage einbauen oder die Mitarbeiter schulen, Brandherde zu vermeiden. Papier oder entzündliche Stoffe sollten zum Beispiel nicht gesammelt in großen Mengen irgendwo rumstehen. Lässt sich das Risiko nicht vermeiden, geht es im nächsten Schritt darum, die Auswirkungen einzugrenzen. Man kann zum Beispiel eine Brandschutzwand einbauen oder den Bürobereich abtrennen. Bricht Feuer aus, ist nicht das gesamte Werk betroffen. Im dritten Schritt geht es darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, um nach einem Brand möglichst schnell wieder zu produzieren. Hier sollte man sich vorher überlegen: Wo kann ich meine Maschinen reparieren lassen? Wo kommen Ersatzmaschinen her? Wer sind meine Notfall-Kontakte in solchen Fällen? Erst wenn diese drei Schritte abgehakt sind, kommen für mich die Versicherungen ins Spiel. Die Versicherungen gehören auch eher zum finanziellen Risikomanagement von Kapitalgebern, damit deren Geldanlage versichert ist. Den Beschäftigten nutzt das aber wenig. 

Setzen wir zu viel Vertrauen in Versicherungen? 

In meiner früheren Position als Produktionsleiter habe ich auch Risikoprofile erstellt. Mir ging es darum, die persönliche Sicherheit der Mitarbeiter, den Betrieb und die Arbeitsplätze im Schadensfall aufrecht zu halten. Mir persönlich war weniger wichtig, ob später irgendjemand Geld bekommt, wenn der Betrieb abgebrannt ist. Im Privatbereich schließt man auch viele Versicherungen ab, damit man gut schlafen kann. Wenn aber der Schadensfall eintritt, ist es oft sehr aufwendig das Geld von der Versicherung zu erhalten und nicht jeder Schaden lässt sich durch finanzielle Entschädigung wiedergutmachen. 

Wie sind Sie damals als Produktionsleiter konkret vorgegangen? 

Ich arbeitete für einen großen Konzern und leitete den Elektronik-Standort, der auch intern alle anderen Werke belieferte. Es war klar: Fällt dieser Standort aus, weil zum Beispiel ein Brand ausbricht, dann ist der ganze Konzern unter Umständen monatelang lieferunfähig. Was konnten wir also tun? Versicherungen waren eine Option. Ich fragte mich aber: Was können wir schon im Vorfeld tun, um Risiken zu vermeiden und einen Schaden zu begrenzen, sollte zum Beispiel Feuer ausbrechen. Damit haben wir uns intensiv beschäftigt und konnten dem Brandversicherer zeigen, dass wir unsere standortbezogenen Brandrisiken konsequent reduzieren und auf bestimmte Brandereignisse gut vorbereitet sind. Dadurch wurde unsere Versicherungsprämie reduziert. Das war ein hoher vierstelliger Betrag, den wir so gespart haben. 

Welche weiteren Risiken sollten Unternehmen noch stärker im Blick haben? 

Klimabedingte Naturkatastrophen gehören zu den neuen Risiken, die erst nach und nach wahrgenommen werden. Wie die Pandemie, deren Wahrscheinlichkeit auch erst gering eingeschätzt wurde. Das wird sich auch für Klimarisiken ändern. Wir müssen mit mehr Hochwasser, Hitzeperioden und Dürren rechnen. Und damit auch mit Lieferausfällen, weil Lieferanten oder Transportwege von extremen Klimaereignissen betroffen sind. Das sind neue Risiken, auf die sich Unternehmen ebenfalls in Zukunft einstellen müssen. 

Mehr von Olaf Eisele lesen Sie in seinem Beitrag Business Continuity Management (BCM) in der aktuellen Ausgabe von Industrie 4.0 Management 1/2021 Produzieren in der Krise.