Das Potenzial-Modell - Eine Methode zur Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen bei der Auswahl geeigneter Industrie 4.0-Lösungen

Patrick Schumacher, Christian Weckenborg, Thomas S. Spengler, David Schneider, Tobias Huth und Thomas Vietor

Durch die zunehmende Digitalisierung der Wertschöpfungskette werden Unternehmen mit neuen Herausforderungen, wie etwa einer höheren Variantenvielfalt oder steigenden Individualisierungswünschen von Kunden, konfrontiert. Zur Bewältigung der wachsenden Herausforderungen bietet die Implementierung von Industrie 4.0-Lösungen großes Potenzial. Dennoch agieren gerade kleine und mittlere Unternehmen bei deren Einführung zurückhaltend. Dies ist vor allem auf den hohen fi nanziellen Aufwand für Industrie 4.0-Lösungen und eine unzureichende Abschätzbarkeit der Auswirkungen ihrer Einführung zurückzuführen. Im Rahmen des EFRE-Forschungsprojekts »Synus« wurden Methoden und Tools zur Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen bei der Bewertung und Auswahl von Industrie 4.0-Lösungen entwickelt. Inhalt dieses Beitrags ist die Präsentation des Potenzial-Modells, welches kleine und mittlere Unternehmen zur Auswahl geeigneter Industrie 4.0-Lösungen in Abhängigkeit der individuellen Sachlagen und Präferenzen befähigt.

Der zunehmende Einsatz intelligenter und autonomer Systeme, welcher erst durch den rapide voranschreitenden, technologischen Fortschritt ermöglicht wird, schaff t zahlreiche Einsatzmöglichkeiten für Industrie 4.0-Lösungen (I4.0-Lösungen). Diese bergen für Unternehmen die Chance, immer komplexeren und dynamischeren Kundenanforderungen gerecht zu werden und unterstützen die Aufrechterhaltung sowie den Ausbau der eigenen Wettbewerbsfähigkeit.

Industrie 4.0 als Spannungsfeld für KMU

Dennoch ist besonders bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) nach wie vor eine starke Zurückhaltung hinsichtlich der Implementierung und Nutzung von I4.0-Lösungen zu erkennen [1]. Dies lässt sich auf verschiedene Hürden zurückführen, welche aus der besonderen Ausgangslage der KMU resultieren: zum einen ist die Implementierung einer I4.0-Lösung mit einer hohen Anfangsinvestition verbunden, von welcher für KMU durch eine generell geringe Liquidität ein hohes Risiko ausgeht. Insbesondere deshalb ist die Wahl der richtigen I4.0-Lösung von entscheidender Bedeutung. Zum anderen ist es für KMU schwer, mit einer verhältnismäßig geringen Anzahl an Mitarbeitern die technische Entwicklung in dem Maße zu verfolgen, wie große Unternehmen dazu die Möglichkeit haben. Dies erschwert die Orientierung in Bezug auf die Eignung und Einsatzbereiche der existierenden I4.0-Lösungen [2]. Zudem stellen die eingeschränkte Prognosefähigkeit und Messbarkeit des Erfolgs sowie der allgemeinen Auswirkungen bei Implementierung einer I4.0-Lösung ein Risiko dar. Sowohl das Informationsdefi zit als auch der kleinere fi nanzielle Spielraum bringen KMU in eine Ausgangslage, in der nur schwer über die Implementierung von I4.0-Lösungen entschieden werden kann.

Das Potenzial-Modell

Um KMU beim Bewältigen dieser Herausforderungen zu unterstützen, ist eine ganzheitliche Betrachtung der jeweils spezifischen Situation eines KMU erforderlich [3]. Es existieren bereits mehrere Ansätze zur Bewertung von I4.0-Lösungen, welche sich allerdings jeweils auf die Erfassung und Bewertung gezielter Auswirkungen konzentrieren. Während das „Supply Chain Operations Reference Model“ (SCOR-Modell) sowohl in der Wirtschaft als auch in der Forschung Anwendung findet, um verfahrenstechnische Auswirkungen zu erfassen [4], ermitteln Masoumik u.a. (2015) den ökologischen Einfluss von I4.0-Lösungen [5]. Thiede u. a. (2016) hingegen erfassen die technologischen Auswirkungen von I4.0-Lösungen [6]. Im Innovationsverbund Synus, einem Zusammenschluss mehrerer Partner aus Industrie und Forschung, welcher die Hürden bei der Einführung von I4.0-Lösungen durch KMU erforscht, wurde ein ganzheitliches Vorgehen zur Unterstützung von KMU bei der Suche nach geeigneten I4.0-Lösungen entwickelt. Dieses ermöglicht Hilfestellungen zu folgenden Fragen:
• Wie kann die spezifische Ausgangslage des KMU beschrieben, strukturiert und aufgenommen werden?
• Wo besteht die Möglichkeit, die aktuelle Situation des KMU durch I4.0-Lösungen zu verbessern?
• Welche I4.0-Lösung ist geeignet, um eine Verbesserung herbeizuführen?
• Wie kann die Auswirkung der I4.0-Lösung abgeschätzt werden?


Bild 1: Das Potenzial-Modell in der Anwendung.

Der vorliegende Beitrag fokussiert das in diesem Zuge entwickelte Potenzial-Modell, welches die drei erstgenannten Fragestellungen adressiert. Terstegen u. a. (2019) stellen fest, dass der IST-Zustand eines Unternehmens eine passende Ausgangslage zur Unterstützung bei der Einführung von I4.0-Lösungen bildet [7]. Die Aufnahme des IST-Zustands des jeweiligen KMU erfolgt im Potenzial-Modell über die Einführung mehrerer, ausgewählter Kriterien, welche die aktuelle Ausgangslage des Unternehmens aus mehreren Perspektiven abbilden, um so Ansatzpunkte für mögliche Verbesserungen durch I4.0-Lösungen zu identifizieren. Die ausgewählten Kriterien sollen zudem ermöglichen, die Unterschiede in der Wirkung der I4.0-Lösungen auf den IST-Zustand des Unternehmens herauszustellen [8]. Lembeck u. a. (2019) schlagen eine Sammlung möglicher Bewertungskriterien vor [9]. Im Synusverbund wurden auf Basis von Literaturrecherchen, Expertenmeinungen von Praxispartnern und Erfahrungswerten 18 verschiedene Bewertungskriterien ausgewählt. Dabei wurden die Kriterien innerhalb der einzelnen Perspektiven an diejenigen Literaturquellen angelehnt, welche explizit die Erfassung von Auswirkungen auf die jeweilige Perspektive fokussieren [4-6]. Da das Potenzial-Modell bei der Auswahl geeigneter I4.0-Lösungen unterstützen soll, wurden nur Kriterien aufgenommen, die Interdependenzen zu möglichen I4.0-Lösungen aufweisen. So kann jedes Kriterium und seine Bewertung sowohl zur Darstellung des IST-Zustands des Unternehmens als auch zur Hilfestellung beim Vorschlag geeigneter I4.0-Lösungen herangezogen werden. Wird im IST-Zustand ein gering ausgeprägtes Bewertungskriterium identifiziert, so kann eine Vorauswahl derartiger I4.0-Lösungen getroffen werden, welche das Kriterium positiv beeinflussen.

Die Aufnahme des IST-Zustands erfolgt im Rahmen einer Expertenbefragung. Um die jeweilige Ausprägung der Kriterien eines KMU aufzunehmen, werden verschiedene Entscheider des KMU gebeten, den aktuellen Zustand der 18 Kriterien zu bewerten. Zu diesem Zweck beinhaltet das Potenzial-Modell einen Bewertungsbereich auf Basis einer „Likert-Skala“. Diese bietet sich bei der Abfrage von Elementen an, welche in vier bis sieben verbalen Ausprägungen zu bewerten sind [10]. Für das Potenzial-Modell wurde eine Skala von eins bis fünf gewählt, wobei eins eine sehr schlechte und fünf eine sehr gute Ausprägung des Kriteriums bedeutet. So können eine quantitative Aufnahme der aktuellen Situation erfolgen und erste Problemkriterien, sogenannte Hotspots, identifiziert werden. Dabei setzen sich die Entscheider mit der aktuellen Situation des KMU auseinander und erhalten einen Überblick über den IST-Zustand des Unternehmens. Um die Entscheider bei der Bewertung zu unterstützen und aus den aufgenommenen Kriterien den IST-Zustand abzuleiten, ist eine weitere Strukturierung erforderlich, durch die erkennbar wird, welche Tätigkeiten und Unternehmensbereiche die jeweiligen Kriterien stellvertretend abbilden. Angelehnt an die „Balanced Scorecard“ werden die 18 Bewertungskriterien demnach den vier Bewertungsperspektiven „Monetär“, „Stakeholder“, „Intern“ und „Technologie“ zugeordnet. So wird eine effiziente und systematische Bewertung der Kriterien ermöglicht und gleichzeitig vermieden, dass nur eine Perspektive des Unternehmens betrachtet wird.

Um eine erste Technologieempfehlung zu ermöglichen, sind die Bewertungskriterien des Potenzial-Modells mit spezifischen I4.0-Lösungen verknüpft, die in einem Technologiekatalog zusammengeführt sind. Basierend auf einer umfangreichen Literatur- und Industrierecherche wurde dieser Katalog im Rahmen der Forschungsbemühungen des Synusverbunds entwickelt und validiert. Der Katalog enthält für jede identifizierte I4.0-Lösung mehrere Informationen, wie etwa eine genaue Funktionsbeschreibung, elementare technische Komponenten, welche zur Implementierung benötigt werden, sowie mögliche Anfangs- und Folgeaufwendungen für die Nutzung. Darüber hinaus ist jedes im Potenzial-Modell aufgeführte Bewertungskriterium im Technologiekatalog aufgenommen, sowie auch die möglichen Auswirkungen der I4.0-Lösungen auf die Bewertungskriterien. Dabei können die I4.0-Lösungen jeweils einen positiven, neutralen oder negativen Effekt auf die Kriterien ausüben. Im Rahmen des Workshops können die einzelnen, geeigneten I4.0-Lösungen des Technologiekatalogs dem KMU in Form von Steckbriefen vorgestellt werden, um so eine erste Orientierung zu schaffen.

Anwendung des Potenzial-Modells

Aufgrund des speziellen Aufbaus ist es möglich, das Potenzial-Modell sowohl vor Ort in einem Workshop als auch online (abrufbar unter: https://www.innovationsverbund-synus.eu/ orientierung-sensibilisierung/) durch die Beantwortung eines Fragebogens anzuwenden. Generell werden Entscheider aus dem KMU gebeten, eine subjektive Einschätzung zu den 18 Kriterien abzugeben, um den IST-Zustand des KMU zu ermitteln. Zielgruppe für die Anwendung sind Personen, welche über Führungsverantwortung, Einblick in die Unternehmensstrategie sowie Unternehmensstruktur oder die Produktionsprozesse verfügen und somit eine umfangreiche, fundierte Einschätzung zu den Kriterien abgeben können. Das Personal sollte zudem aus verschiedenen Unternehmensbereichen stammen, sodass das Risiko einer eindimensionalen Betrachtung weiter verringert wird. Jeder Entscheider gibt im Rahmen des Workshops für jedes Kriterium eine subjektive Einschätzung ab. Diese werden als Datenpunkte im Bewertungsbereich des Potenzial-Modells eingetragen. Anschließend werden die Werte der Entscheidungsträger zusammengeführt und über die Bewertungskriterien interpoliert, sodass eine Kurve entsteht (Bild 1). Anhand der Kurventäler sind Kriterien identifizierbar, bei denen akuter Handlungsbedarf entsteht. Für diese Hotspots gilt es, geeignete I4.0-Lösungen zu finden, um die Lage des KMU zu verbessern. Die Berge der Kurve weisen hingegen die Kriterien aus, bei denen kein oder nur sehr geringer Handlungsbedarf besteht.
 


Bild 2: Ablauf der Hauptphasen im Innovationsverbund Synus.
 

Der nächste Schritt hin zur Orientierung in der Industrie 4.0 erfolgt durch die Identifikation von „Zielkriterien“. Dazu werden den Entscheidern die identifizierten Hotspot-Kriterien (Täler der Kurve) vorgestellt. Es folgt eine Befragung zur Aufdeckung, welche der Bewertungskriterien durch die Einführung von I4.0-Lösungen im vorliegenden Unternehmen aus strategischen Gründen adressiert und verbessert werden sollen. Die ausgewählten Kriterien werden anschließend als „Zielkriterien“ deklariert.

Anschließend ist die Zusammenführung des ermittelten IST-Zustands des KMU mit hilfreichen I4.0-Lösungen möglich. Den potenziellen Auswirkungen der I4.0-Lösungen auf die Bewertungskriterien des Potenzial-Modells entsprechend können nun Technologien identifiziert werden, welche die Zielkriterien des Unternehmens adressieren und verbessern. Anschließend werden diese fokussiert betrachtet. Somit legt das Potenzial-Modell durch Aufnahme der aktuellen Situation sowie der Ziele des KMU und die Identifikation erfolgsversprechender I4.0-Lösungen die Basis für weitere Unterstützungsmaßnahmen, welche beispielsweise explizite Auswirkungen der I4.0-Lösungen für die spezifischen Prozesse des KMU auf technisch detaillierterer Basis ermitteln können. Es knüpfen vier weitere im Synusverbund entwickelte Methoden und Tools an, welche diese Unterstützung für KMU bieten.

Anbindung an die Methoden des Innovationsverbunds Synus

Der Ablauf der vier weiteren Methoden (Bild 2) erfolgt dabei immer in derselben Reihenfolge. Die nachfolgenden Methoden bauen jeweils auf den Erkenntnissen der vorangegangenen Methoden auf. Nach der Anwendung des Potenzial-Modells (Phase 1) werden bei dem jeweiligen KMU vor Ort Produktionsdaten aufgenommen. Jedem Kriterium des Potenzial-Modells ist dafür ein Key Performance Indicator (KPI) hinterlegt. Die KPIs können nach der Anwendung des Potenzial-Modells im KMU aufgenommen werden, um eine Vergleichsgrundlage für die weiteren Phasen zu erfassen (Phase 2). Dabei steht die Produktion fortan im Fokus der Analyse. Die Produktionsdaten werden anschließend genutzt, um ein Simulationsmodell der Produktion zu erstellen (Phase 3). Durch dieses Modell wird die Auftragsabwicklung simuliert. Anschließend werden mögliche I4.0-Lösungen sowie deren Platzierung in Schnittstellen des Produktionsmodells ausgewählt. Anhand der gewählten (zu analysierenden) I4.0-Lösung und der Implementierungsvariante (Platzierung) wird die Auftragsabwicklung in der Produktion erneut simuliert (Phase 4). Abschließend werden die Simulationsergebnisse aus den Phasen 3 und 4 verglichen, um über die Eignung der genutzten I4.0-Lösung zu entscheiden (Phase 5). Der Ablauf der Phasen 2 bis 5 wird im Folgenden erläutert.

Auf die Erkenntnisse der bereits beschriebenen Anwendung des Potenzial-Modells folgt die Prozess- und Datenakquise in der Produktion. Dazu werden vor Ort bei dem jeweiligen KMU alle für die später erfolgende Produktionssimulation (Phase 3 und 4) benötigten Daten, wie etwa die Maschinenanzahl, deren Anordnung und Vorrangbeziehungen zueinander, erfasst. Die Aufnahme der Produktionsdaten erfolgt mittels einer erweiterten Wertstromanalyse. Der Fokus liegt hierbei auf den Produktions- und Logistikkernprozessen, d. h. auf automatisierten, teilautomatisierten sowie manuellen Produktions-, Transport- und Lagerprozessen. Gleichzeitig werden die KPIs, welche den 18 Bewertungskriterien des Potenzial-Modells zu Grunde liegen, aufgenommen, um die Ausprägung im IST-Zustand zu dokumentieren. Zu diesen gehören beispielsweise die Durchlaufzeit eines Produkts oder die Anzahl an Produktionsfehlern in einem definierten Betrachtungszeitraum. So wird zudem eine Vergleichsgrundlage für die Ausprägung der 18 Bewertungskriterien erfasst, welche durch die Befragung der Entscheider ermittelt wurden.

Da sich die Kernprozesse der KMU individuell unterscheiden, werden zu deren Modellierung generische Kernprozessmodelle aufgebaut. Die in Phase 2 erfassten Daten werden dann in die generischen Modelle übertragen, um das individuelle Produktionssystem des KMU modellbasiert abzubilden. Das Produktionssystem wird mithilfe der Software AnyLogic© implementiert. AnyLogic© ist ein Multimethoden-Simulationswerkzeug, welches systemdynamische, ereignisorientierte und agentenbasierte Simulationsmethodiken unterstützt und so die Grundlage zur Darstellung und Analyse der Produktions- und Lagerprozesse zur Produktion einer vorgegebenen Menge an Aufträgen bildet. So entsteht eine Simulation der real vorliegenden Produktion des KMU, welche deren IST-Zustand abbildet. Diese Simulation bietet darüber hinaus die Basis für spätere Vergleiche mit SOLL-Zuständen (I4.0-Lösung implementiert) der Produktion. Die durch das Potenzial-Modell für weitere Untersuchungen ausgewählten I4.0-Lösungen aus Phase 1 werden anschließend mit dem Produktionssystem in einem softwarebasierten Graphenmodell zusammengeführt [11]. Das Graphenmodell analysiert dabei die Struktur des IST-Zustands der Produktion, identifiziert Schnittstellen, an denen I4.0-Lösungen implementiert werden können und überprüft, welche I4.0-Lösungen anwendbar sind. Dabei wird der Aufbau der IST-Produktion in einzelne Elemente zerlegt (Maschinen, Arbeitsplätze). Für jedes dieser Elemente wird anschließend ermittelt, welche technischen Komponenten für eine Anbindung einer I4.0-Lösung vorhanden sind und welche I4.0-Lösungen folglich für dieses Element implementiert werden können. Zudem werden die Auswirkungen einer Implementierung abgeschätzt. Auf diese Weise können Einsatz- und Implementierungsvarianten, also Variationen der Einsatzart sowie der physischen Platzierung einer I4.0-Lösung in dem Produktionssystem des KMU, ermittelt werden. So kann eine I4.0-Lösung beispielsweise auf mehreren Maschinen in der Produktion implementiert werden, jedoch unterscheiden sie sich hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die KPIs, sodass eine vorteilhafte Konfiguration ermittelt werden soll. Als Output des Graphenmodells werden mehrere Konfigurationen ausgegeben, welche potenzielle SOLL-Zustände des Produktionssystems des KMU abbilden. Diese enthalten die Informationen, welche I4.0-Lösung an welcher Stelle im Produktionssystem implementiert werden soll, um eine Verbesserung im Vergleich zum IST-Zustand der Produktion zu erreichen. Somit sind mehrere zu betrachtende SOLL-Zustände definiert, welche an die Produktionssimulation (Phase 4) übergeben werden.

In der Phase 4 wird das in Phase 3 entstandene Modell des IST-Produktionssystems für jede in Phase 3 ermittelte SOLL-Konfiguration in AnyLogic© mit den jeweiligen I4.0-Lösungen an den vorgeschlagenen Schnittstellen ergänzt und die Produktion der gleichen Aufträge wie bei der Simulation des IST-Zustands durchlaufen. Dabei werden abermals die vorab definierten KPIs aufgenommen, um den Einfluss der I4.0-Lösung aus dem Unterschied der KPIs von IST- und SOLL-Zustand abzuleiten. Mit Abschluss der Phase 4 liegen somit sowohl die KPIs der IST-Produktion als auch die KPIs der verschiedenen SOLL-Produktionen vor.

Die Ergebnisaufbereitung und Bewertung aller untersuchten I4.0-Lösungen bildet die finale Phase der Anwendungen im Synusverbund. Dazu werden die KPIs des IST-Produktionssystems des KMU (Phase 2) jeweils paarweise mit den aus der Simulation (Phase 4) erhaltenen KPIs der SOLL-Produktionssysteme verglichen. Dabei wird untersucht, ob eine Verbesserung oder Verschlechterung durch die Einführung einer spezifischen I4.0-Lösung eintritt. Zudem wird an dieser Stelle die in Phase 1 durchgeführte Abschätzung der Auswirkung der jeweiligen I4.0-Lösung auf die Zielkriterien validiert. Auf dieser Basis werden mehrere I4.0-Lösungen miteinander in ihrer Auswirkung verglichen und deren individuelle Eignung für das KMU und dessen Strategie bestimmt. Nach Beendigung der letzten Phase ist das Unternehmen dazu befähigt, die Auswirkungen der Implementierung der betrachteten I4.0-Lösungen abzuschätzen. Auf dieser Basis kann eine Strategie zur Einführung einer ausgewählten I4.0-Lösung entwickelt werden.

Fazit und Ausblick

Mit zunehmender Digitalisierung wird der gezielte Einsatz von passenden I4.0-Lösungen nicht nur für große Unternehmen, sondern auch für KMU in Zukunft immer relevanter. Die vorgestellten Tools und Methoden unterstützen KMU bei der Abwägung zur Einführung von I4.0-Lösungen, indem sie Orientierung schaff en und die Möglichkeit zur Bewertung der Auswirkungen des Technologieeinsatzes bieten. Ansatzpunkte, um die Methoden und Tools in Zukunft weiter zu entwickeln, sind die Aufnahme weiterer I4.0-Lösungen und deren Beschreibungen in den Technologiekatalog sowie die weitere Validierung der Kriterien durch Workshops und Umfragen bei Industriepartnern.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Projekts „Synus – Methoden und Werkzeuge für die synergetische Konzipierung und Bewertung von Industrie 4.0-Lösungen“, das von dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung unter dem Kennzeichen EFRE | ZW 6 – 85013110 gefördert wird.

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Schlüsselwörter:

Digitalisierung, Industrie 4.0, KMU

Literatur:

[1] Wichmann, R. L. u. a.: The Direction of Industry: A Literature Review on Industry 4.0. In: Proceedings of the Design Society: International Conference on Engineering Design 1 (2019) 1, S. 2129-2138.
[2] Faller, C.; Feldmüller, D.: Industry 4.0 Learning Factory for regional SMEs. In: Procedia CIRP 32 (2015), S. 88-91.
[3] Schneider, D. u. a.: Develop ment of a Potential Model to Support the Assessment and Introduction of Industry 4.0 Technologies. In: Proceedings of the Design Society: DESIGN Conference 1 (2020), S. 707- 716.
[4] Kersten, W.; Saeed, M. A.: A scor based analysis of simulation in supply chain management. In: 28th European Conference on Modelling and Simulation ECMS (2014), S. 461-474.
[5] Masoumik, S. M. u. a.: Importance-performance Analysis of Green Strategy Adoption within the Malaysian Manufacturing Industry. In: Procedia CIRP 26 (2015), S. 646–652.
[6] Thiede, S. u. a.: Implementing Cyber-physical Production Systems in Learning Factories. In: Procedia CIRP 54 (2016), S. 7-12.
[7] Terstegen, S. u. a.: Vergleichsstudie über Vorgehensmodelle zur Einführung und Umsetzung von Digitalisierungsmaßnahmen in der produzierenden Industrie. In: GfA (Hrsg): Frühjahrskongress der Gesellschaft für Arbeitswissenschaften - Arbeit interdisziplinär analysieren – bewerten – gestalten, Vol. 65. Frankfurt a. M. 2019.
[8] Essakly, A. u. a.: A reference framework for the holistic evaluation of Industry 4.0 solutions for small- and medium-sized enterprises. In: IFAC–PapersOnLine 52 (2019) 13, S. 427-432.
[9] Lembeck, H. u. a.: Evaluation methodology for the process integration of industry 4.0 solutions into Design. In: Stuttgarter Symposium für Produktenwicklung SSP 5 (2019), S. 83-92.
[10] Porst, R.: Fragebogen – Ein Arbeitsbuch. 4. Aufl age. Wiesbaden 2013.
[11] Wang, D. u. a.: Data-driven Component Confi guration in Production Systems. In: Adaptive 2019: The Eleventh International Conference on Adaptive and Self-Adaptive Systems and Applications (2019), S. 44-47.