Gesunder Menschenverstand statt MBA - Daran erkennen Sie gute Führungskräfte

 

Hans Rosenkranz

Es gibt unzählige Werkzeuge für Führungskräfte. Die US-amerikanische Strategieberatung Bain & Company beispielsweise analysiert regelmäßig die 25 beliebtesten Management Tools weltweit. Doch auch das beste Werkzeug ist nur dann gut, wenn es richtig eingesetzt wird. Dazu bedarf es des gesunden Menschenverstands. Einen Manager, der darüber verfügt, erkennt man an folgenden Eigenschaften: Er kennt den Unterschied zwischen Selbst- und Fremdbild, er legt Wert auf eine wertschätzende Feedbackkultur im Unternehmen und er setzt auf die Kraft des Miteinanders.

Man könne kein Führer sein, wenn man keinen gesunden Menschenverstand habe, sagte Lee Iacocca, einer der erfolgreichsten und einflussreichsten amerikanischen Manager in der Automobilindustrie.

Als „praktische Intelligenz“ bezeichnet Karl Albrecht, Managementberater, Autor und gefragter Redner, den gesunden Menschenverstand. In [2] nennt er praktische Intelligenz die geistige Fähigkeit, mit Herausforderungen und Chancen im Leben umzugehen. Unternehmenslenker sehen sich heute zwei besonderen Anforderungen gegenüber: Ihr Unternehmen fit für die digitale Zukunft zu machen und gleichzeitig auch die Nachfolge zu regeln. Über eine halbe Million deutscher Mittelstandsunternehmer brauchen bis 2022 eine neue Führungskraft. Das hat die staatliche Förderbank KfW in ihrer aktuellen Untersuchung ermittelt [3].

Zusätzliche Brisanz bekommen die Themen durch den anstehenden Generationenwechsel. Junge Manager, digital aufgewachsen, mit dem Wunsch, frischen Wind in althergebrachte Geschäfts- und Führungsprinzipien zu bringen, treffen auf die Generation 50+ mit viel Erfahrung, die sich über die Jahre Respekt im Unternehmen erworben hat. Veränderungen stehen sie reserviert gegenüber, „das haben wir immer schon so gemacht“ ist ihre Devise.

In dieser Situation ist praktische Intelligenz gefragt, eine Kultur, in der einer vom anderen lernt. Diese ist jedoch nicht bei allen Managern gleich ausgeprägt. Denn 64 Prozent von ihnen sehen Mitarbeiter nicht als Verbündete, sondern als Kostenfaktor, wie eine weltweite Studie von Kornferry aus dem Januar 2017 zeigt, für die das Beratungshaus 800 Top-Manager aus acht Ländern befragt hat [4].

Mit diesem Verhalten blockieren Manager ihre Ressourcen in erheblichem Umfang. Eine Studie von KPMG aus dem Jahr 2012 zeigt, dass unbearbeitete Konfliktfälle in deutschen Unternehmen Kosten von 60.000 bis 3 Millionen Euro pro Jahr verursachen [5].

Die Crux: Viele Manager wissen gar nicht, dass sie Bremser statt Motor sind. Denn sie haben von ihrer Wirkung auf andere ein völlig anderes Bild als ihre Mitarbeiter.
 


Bild 1: Ebenen des Verhaltens:
Durch die Interaktion Einzelner miteinander entstehen Lernzyklen für die Gruppe,
und durch Interaktionen zwischen den Gruppen kommt es schließlich zu
einer Fortentwicklung durch Lernen für das gesamte Unternehmen.

Selbstbild und Fremdbild abgleichen

Fast immer unterscheidet sich das Fremdbild von der eigenen Wahrnehmung. Unternehmenslenker mit gesundem Menschenverstand haben den Mut, sich von anderen den Spiegel vorhalten zu lassen und dann zu entscheiden, ob und in welchem Umfang sie das Feedback zur Änderung ihres Verhaltens nutzen wollen. Der einfachste Weg herauszufinden, wie sie wahrgenommen werden, ist danach zu fragen, beispielsweise:

•    Wie wirke ich auf Dich?
•    Fühlst Du Dich wertgeschätzt?
•    Sind Dir die Projekt-/Unternehmens-/strategischen Ziele bekannt und verständlich?
•    Gebe ich Dir genügend Freiraum in Deiner Arbeit?
•    Was brauchst Du, um Dein volles Potenzial entfalten zu können?

Wertvolle Rückmeldungen können auch Partner und Freunde geben. Wichtig ist es, Menschen zu fragen, die ehrlich sind. Ein erstes Indiz für die vorherrschende Kultur in Ihrem Unternehmen ist auch schon, ob Sie ehrliche Antworten auf Ihre Fragen bekommen.
Das heißt jedoch nicht, dass das Selbstbild automatisch angepasst werden sollte. Denn dann riskiert der Betroffene, seine eigene Persönlichkeit aufzugeben, sich in ein Rollenbild zu pressen, das ihm nicht entspricht. Die Folge: Unsicherheit, Unwohlsein, mangelnde Authentizität, schlechtes Vorbild. Der Manager mit gesundem Menschenverstand entscheidet, ob und wenn ja welche Facetten seines Verhaltens er ändern möchte. Wenn er weiß, wie er auf andere wirkt und wie er Gruppen, Teams und Mitarbeiter bewegen kann, kann er vom Bremser zum Motivator werden [6].
 

Wertschätzende Feedback-Kultur einführen und vorleben

Wer als Manager ehrliche Antworten bekommen möchte, die er auch annehmen kann, muss wissen, dass sie mit Wertschätzung und nicht verletzend gegeben werden [7]. Umgekehrt ist es auch für das Team wichtig, zu wissen, dass sie ihr Feedback geben können, weil es wertschätzend angenommen wird. Damit diese Voraussetzungen erfüllt sind, braucht es eine Feedbackkultur, die verstanden und gelebt wird. Ist ein Manager mit dem Arbeitsergebnis unzufrieden, ist diese Reaktion die falsche: „Du versaust uns das ganze Projekt“ (Bild 2).

Feedback ist: „Ich sehe, dass wir den Termin wahrscheinlich nicht halten können. Ich bin gestresst und besorgt und zerbreche mir den Kopf, wie wir es doch noch schaffen können.“ Ein Manager muss auch umgekehrt in der Lage sein, sich Rückmeldungen anzuhören, die ihm vielleicht nicht gefallen, etwa „Ich fühle mich beengt, weil jeder Schritt im Projekt kontrolliert wird. Mit mehr Freiraum bin ich kreativer und komme schneller zu einer Lösung.“
Gute Manager können Feedback ihrer Managementkollegen oder aus dem Team annehmen, auch wenn es ihnen nicht gefällt. Sie sind aber auch in der Lage, wertschätzendes Feedback als Sicht des Anderen anzuhören, ohne das Gefühl zu haben, sich deswegen verändern zu müssen.
 


Bild 2: Abwertungsspirale:
Individuelle Abwertungszirkel werden durch Feedback in Lernschleifen
von Personen, Gruppen und Unternehmen umgewandelt.

Miteinander statt gegeneinander – Konflikte als Chance nutzen

Studien zeigen, dass wir in der Regel nur fünf Prozent unserer mentalen Ressourcen nutzen. Die anderen 95 Prozent fallen Unstimmigkeiten, Konflikten oder ähnlichem zum Opfer. Dabei bergen Konflikte Chancen: nämlich sich gegenseitig zu neuen kreativen Lösungen anzuspornen. Manager mit gesundem Menschenverstand setzen daher alles daran, die negativen Energien in positive zu wandeln und das gesamte Potenzial ihres Teams zu nutzen [8]. Damit ihnen das gelingt, helfen die Antworten auf folgende Leitfragen:

•    Durch welche Einstellungen und Verhaltensweisen trage ich bisher selbst zu Konflikten bei?
•    Mit wem habe ich immer wieder Konflikte und weshalb?
•    Welche typischen Abläufe, Rollen und inneren Dinge prägen mein Konfliktverhalten?

Damit schließt sich der Kreis zu den zuvor genannten Punkten Selbstbild/Fremdbild und wertschätzendes Feedback. Manager, die wissen, wie sie selbst in die Organisation wirken und wie sie bestimmte Situationen beeinflussen können, haben die Chance, das volle Potenzial ihrer Organisation zu nutzen und aus 2 + 2 = 7 zu machen (Bild 1).
 

Die Königsdisziplin – Lernende Organisation

Der CEO von trivago, dem deutschen Vergleichsportal für Hotels weltweit, sagte einmal, es gäbe im digitalen Zeitalter nur noch einen Wettbewerbsvorteil: schnell dazuzulernen. Warum nicht diesen Wunsch im Unternehmen realisieren? Heute, in Zeiten von Digitalisierung und Transformation, treffen bis zu drei Management-Generationen aufeinander. Jede hat ihre eigenen Vorstellungen, Wünsche und Erfahrungen. Eine lernende Organisation kann hier viel für einen fruchtbaren Austausch tun. Die Älteren geben ihre praktische Erfahrung an die junge Generation weiter – Wissen, das in keiner Datenbank der Welt gespeichert ist. Die Jüngeren teilen dafür ihre Erfahrungen als Digital Natives. Beide profitieren voneinander und wachsen gemeinsam.
Folgende Fragen stehen im Fokus:

•    Wie kann durch Einbezug der Betroffenen eine lernende Organisation geschaffen werden? 
•    Wie fördern Rückkoppelung und Feedback den Lernprozess von Personen, Gruppen und zwischen Gruppen so, dass Leistung und Zufriedenheit optimiert werden? 
•    Wie können Unternehmen negative Widerstandsenergie von Kunden und Mitarbeitern in positive Lern- und Arbeitsenergie umwandeln?

Die Bedingung für die Entwicklung von Gruppen zu Teams sind Mitarbeiter, die gelernt haben, ihr eigenes Potenzial an rationalen, emotionalen und intuitiven Fähigkeiten zu aktivieren, sich immer wieder zu reflektieren und lernend zu verändern [9]. Solche Teams haben die Chance, zu einem Teil einer lernenden Organisation zu wachsen, in der sich Struktur und Arbeitsklima optimal ergänzen (Bild 3).
 


Bild 3: Feedbackkultur:
Lernende Systeme können sowohl einzelne Personen als auch Gruppen und Organisationen sein.

Tools und Tun – Lernen auf Basis angeleiteter Selbsterfahrung

Wie eingangs erwähnt, gibt es viele Tools für Manager. Doch welche sind die richtigen? Die beste und nachweislich erfolgreichste Methode der Gegenwart, das herauszufinden, ist Lernen auf Basis angeleiteter Selbsterfahrung. Die Lernenden haben im geschützten Umfeld von Seminaren die Möglichkeit, verschiedene Führungstools auszuprobieren. Sie erhalten Feedback von den übrigen Teilnehmern und entscheiden auf dieser Basis, welches Tool sie in ihren Managementalltag mitnehmen. Individuell anpassen und verfeinern können sie ihre gewählte Methodik danach, was ihre persönliche Führungssituation erfordert. Durch regelmäßige Selbstreflektion und Feedback aus ihrem Team, natürlich gepaart mit einem Blick auf die Zahlen, Daten und Fakten, stellen sie fest, ob ihre Wahl noch passt oder ein anderes Tool angebrachter wäre. Vorteil: ein authentischer und glaubwürdiger Führungsstil, der aktiviert und mitreißt.
 

Die Rolle der Künstlichen Intelligenz im Management

Die Digitalisierung hat schon Einzug in zahlreiche Lebensbereiche gefunden. Ein Beispiel disruptiver Geschäftsmodelle ist Amazon, die nicht nur den Handel verändert haben, sondern zunehmend weitere Geschäftsfelder für sich erobern wollen. Mittlerweile hat Amazon eine eigene Kreditkarte und vergibt auch Kredite an kleine Unternehmen. Künstliche Intelligenz (KI) ist ein Faktor, der hier wesentlich unterstützt. Auch in der Beratungsindustrie ersetzt KI zunehmend die umfangreichen Datenanalysen, die bis dato noch ganze Beraterscharen erledigen. Sich zur Unmengen an Daten zu arbeiten, die richtigen herauszufiltern, sinnvoll auszuwerten und zu kombinieren können Manager getrost klugen Algorithmen überlassen. Darauf zu achten, dass keine Persönlichkeitsgrenzen überschritten werden, erfordert gesunden Menschenverstand und viel Fingerspitzengefühl. Künstliche Intelligenz ersetzt also keine Managementfähigkeiten, ganz im Gegenteil: sie erfordert neue.

Unternehmenslenker stehen daher vor der Aufgabe,
•    der Generation 50+ die Angst vor der künstlichen Intelligenz zu nehmen
•    dafür Sorge zu tragen, dass die richtigen Fähigkeiten für den Umgang mit ihr im Team vorhanden sind
•    Teams dergestalt zusammenzustellen, dass Erfahrene und die sog. Digital Natives voneinander lernen und miteinander wachsen können.
 

Fazit

Ein Mangel an gesundem Menschenverstand geht auf Kosten der persönlichen Reputation und der des Unternehmens. Manager ohne diese Fähigkeit setzen sogar Existenzen aufs Spiel. Daher empfiehlt es sich, einen Schritt zurückzugehen und zu reflektieren, wie es im eigenen Unternehmen um die Merkmale guter Manager – und die eigenen Führungsqualitäten – bestellt ist. Wer sich das selbst nicht zutraut – was auch ein Zeichen für gesunden Menschenverstand sein kann – ist gut beraten, sich einen externen Sparringspartner an die Seite zu holen. Ein unverstellter Blick von außen hat schon manchen Unternehmenslenkern wertvolle Hilfe geleistet.

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Schlüsselwörter:

Gesunder Menschenverstand, Führungskraft, Management, Lernende Organisation, Künstliche Intelligenz, KI, Konfliktmanagement

Literatur:

[1]  Gutzitiert, URL: www.gutzitiert.de/zitat_autor_lido__lee__iacocca_thema_fuehrung_zitat_27..., Abrufdatum 02.04.2018.
[2]  Karl Albrecht, Practical Intelligence: The Art and Science of Common Sense, p. 41, (2007), ISBN 978-0-78799565-2, URL: https://de.wikihow.com/Gesunden-Menschenverstand-entwickeln, Abrufdatum 02.04.2018.
[3]  KfW: Generationenwechsel im Mittelstand: Bis 2019 werden 240.000 Nachfolger gesucht. 2018. URL: www.kfw.de/PDF/.../Fokus-Nr.-197-Januar-2018-Generationenwechsel.pdf, Abrufdatum 02.04.2018.
[4]  Die Welt: Top-Manager schätzen Menschen geringer als Maschinen. Veröffentlicht am 20.01.2017. URL: www.welt.de/wirtschaft/article161335580/Top-Manager-schaetzen-Menschen-g..., Abrufdatum: 02.04.2018.
[5]  förderland: Streit frisst Ressourcen: Konflikte am Arbeitsplatz lösen und vermeiden. URL: www.foerderland.de/organisieren/news/artikel/streit-frisst-ressourcen-ko..., Abrufdatum 02.04.2018.
[6]  Rosenkranz, H.: Wie wir aus Stroh Gold machen können. Wertorientierte Erfolgsstrategien durch Gruppendynamik, Transaktionsanalyse und systemische Organisationsentwicklung. 2016.
[7]  Rosenkranz, H.: Konfliktmanagement. URL: www.team-rosenkranz.de/cms/upload/Rosenkranz-Spezial/Veroeffentlichungen..., Abrufdatum 02.04.2018.
[8]  Rosenkranz, H.: Von der Familie zur Gruppe zum Team. Familien- und gruppendynamische Modelle zur Teamentwicklung. Paderborn 1990.
[9]  Rosenkranz, H.: Von der Gruppendynamik zur Organisationsentwicklung. Praxismodelle für Training und Organisationsberatung in der Wirtschaft, S. 135 ff, Wiesbaden 1982.